🌟 Der Weihnachtsabend | eine Kurzgeschichte zum Advent

Weihnachtsabend - Geschichte
Novellen - Kurzgeschichten - BΓΌcher - Daniela Noitz

An dem heiligen Abende vor dem Weihnachtsfeste wanderte der arme Anton, ein holder Knabe von acht Jahren, noch durch die schneebedeckte Gegend hin. Der arme Kleine hatte seine blonden Locken, die von der KΓ€lte angeduftet waren, noch mit dem leichten schwarzen Strohhute vom letzten Sommer her bedeckt, und seine beiden Wangen glΓΌhten hochrot von Frost. Er war nach Soldatenart gekleidet, und hatte eine niedliche scharlachrote Husarenjacke an. In der Rechten fΓΌhrte er einen dicken Stecken von Schlehdorn, und auf dem RΓΌcken trug er ein kleines ReisebΓΌndelein, in dem sich all‘ sein Hab und Gut befand. Er war aber frΓΆhlich und guter Dinge, und hatte an der schΓΆnen weißen Winterlandschaft umher und an den bereiften Hecken und GestrΓ€uchen am Wege seine herzliche Freude. Indes ging die Sonne glutrot unter. Die angedufteten Halme und Zweige umher flimmerten wie mit rΓΆtlichen FΓΌnklein betreut und die Gipfel des nahen Tannenwaldes strahlten im Abendgolde.

Anton dachte das nΓ€chste Dorf, das jenseits des Waldes lag, noch leicht zu erreichen, und ging mutig in den dicken, finstern Wald hinein. Er hoffte in dem Dorfe gute Weihnachtsfeiertage zu bekommen; denn er hatte gehΓΆrt, die Bauern dort seien sehr wohlhabende und gutherzige Leute. Allein er war noch keine Viertelstunde gegangen, so kam er vom rechten Wege ab, und verirrte sich in die wildeste Gegend des rauen, bergigen Waldes. Er musste fast bestΓ€ndig durch tiefen Schnee waten, und einige Male versank er beinahe in Gruben und Schluchten, die unter dem Schnee versteckt waren. Die Nacht brach ein und es erhob sich ein kalter Wind. Wolken ΓΌberzogen den Himmel, und verdunkelten jedes Sternlein, das durch die schwarzen TannenΓ€ste funkelte. Es war sehr finster und fing auf’s neue an heftig zu schneien.

Der arme Knabe fand keine Spur mehr von einem Wege, und wusste nicht mehr wo an und wo aus. MΓΌde vom langen Umherirren vermochte er nicht mehr weiter zu gehen. Er blieb stehen, zitterte vor Frost, und fing an schmerzlich zu weinen. Er legte sein WanderbΓΌndelein in den Schnee, kniete daneben nieder, nahm seinen Hut ab, erhob seine starren HΓ€nde zum Himmel, und betete unter heißen TrΓ€nen: „Ach, du lieber Vater im Himmel! Ach lass mich doch nicht in diesem wilden Walde, in Nacht und Frost umkommen. Sieh, ich bin ja ein armes Waislein, und habe keinen Vater und keine Mutter mehr! Ich habe niemand mehr als dich. Aber du bist ja der Vater aller armen Waisen. O lass mich nicht erfrieren; erbarme dich deines armen Kindes. Es ist ja heute die Nacht, in der dein lieber Sohn zur Welt geboren wurde. Um seinetwillen hΓΆre mich! Ach lass nicht in eben der Nacht, da sich alle Welt ΓΌber die Geburt des gΓΆttlichen Kindes freut, mich armen Knaben hier einsam im Walde sterben.“ Er legte sein mΓΌdes Haupt auf sein kleines BΓΌndelein, und schluchzte und weinte bitterlich!
Aber horch – da erklang es mit einem Male, seitwΓ€rts von der HΓΆhe herab, lieblich wie HarfentΓΆne, und ein wunderschΓΆner Gesang erhob sich und hallte von den Felsen wieder. Dem Knaben war es nicht anders, als hΓΆrte er die heiligen Engel Gottes singen. Er stand auf, horchte und faltete die HΓ€nde. Der Wind hatte sich gelegt, und kein LΓΌftchen regte sich. Unaussprechlich lieblich erklang der Gesang in der tiefen nΓ€chtlichen Stille des Waldes. Jetzt vernahm er deutlich die Worte:
„O sei getrost in jeder Not,
Denn sieh, den liebsten Sohn hat Gott
Zum Heiland dir gegeben!
Auf ihn vertrau‘ und fasse Mut,
Was schlimm ist, macht er wieder gut;
Er liebt dich wie sein Leben.
Jetzt war es wieder stille; nur klangen noch wie ein leiser Widerhall einige sanfte HarfentΓΆne nach. Dem guten Anton wurde es wunderbar um das Herz. „Ach,“ sagte er, „so muss es den Hirten zu Bethlehem gewesen sein, als sie in jener heiligen Nacht den himmlischen Gesang vernahmen. Ich will wieder frischen Mut fassen und frΓΆhlich sein. Sicher wohnen gute Menschen in der NΓ€he, die sich meiner annehmen; denn ich hoffe, dass sie nicht nur so schΓΆn singen, wie die Engel, sondern auch so gut und freundlich gesinnt seien wie Engel!“ Er nahm sein BΓΌndelein, und ging die AnhΓΆhe hinauf – der Gegend zu, woher er den lieblichen Gesang vernommen hatte. Kaum war er einige Schritte durch das GebΓΌsch gegangen, so glΓ€nzte ihm ein heller Lichtstrahl entgegen, der sogleich wieder verschwand, ΓΌber eine Weile aber wieder erschien, dann wieder auf einige Augenblicke verschwand, dann wieder heller glΓ€nzte, und so wechselweise. Anton ging freudig vorwΓ€rts, und kam an ein Haus, das einsam im Walde stand. Er klopfte zwei, dreimal an der HaustΓΌre; er hΓΆrte wohl mehrere frΓΆhliche Stimmen in dem Hause, aber niemand antwortete ihm. Er versuchte nun die TΓΌre zu ΓΆffnen; sie war nur mit der Klinke geschlossen. Er ging hinein, tappte lange in dem dunklen Hausgang umher, und suchte die StubentΓΌre. Endlich fand er sie, machte sie auf – und blieb hΓΆchst erstaunt stehen. Ein heller Glanz von mehreren Lichtern strahlte ihm entgegen. Es war ihm nicht anders, als blickte er in das Paradies, ja in den offenen Himmel. – In der Ecke der Stube, zwischen den zwei Fenstern, war eine ΓΌberaus schΓΆne FrΓΌhlingslandschaft ganz nach der Natur im kleinen abgebildet – eine gebirgige Gegend mit hohen bemoosten Felsen, grΓΌnenden TannenwΓ€ldern, lΓ€ndlichen HΓΌtten, weidenden Schafen nebst ihren hirten, und einer kleinen Stadt oben auf dem Berge. Inmitten der Landschaft war aber eine FelsenhΓΆhle – da sah man das Kind Jesu – die heilige Mutter – den ehrwΓΌrdigen Joseph – die anbetenden Hirten, und oben schwebten die jubelnden Engel. Die ganz Landschaft flimmerte von einem wundersamen Glanze; sie war wie mit unzΓ€hligen winzigen kleinen Sternlein besΓ€t, so wie etwas Laub und Moos an BΓ€umen und Felsen schimmern, wenn sie an einem FrΓΌhlingsmorgen von reichlichem Taue trΓΆpfeln.
Die Einwohner des Hauses waren um die schâne Vorstellung des Kindes Jesu in der Krippe versammelt. An einer Seite saß der Vater und hatte eine Harfe zwischen den Knien stehen, an der andern Seite saß die Mutter mit dem kleinsten Kinde auf dem Schoße. Zwei liebliche Kinder, ein Knabe und ein MÀdchen, standen zwischen den beiden Eltern, blickten andÀchtig zur Krippe des Heilandes hinauf, und erhoben die HÀnde gleich den frommen Hirten, die vor der Krippe knieten. Jetzt griff der Vater wieder in die Harfe und die Mutter sang mit ihrer lieblichen Engelsstimme noch einmal das Lied, von dem Anton jene Worte gehârt hatte. Die zwei Kinder sangen mit ihren zarten, hellen Stimmchen freudig mit, und der Vater begleitete den Gesang mit seiner angenehmen Bassstimme und dem lieblichen Harfenspiel. Sie sangen:
Vor dir, du holdes Himmelskind
Dem Gottes Engel dienstbar sind,
Fall‘ ich anbetend nieder –
Und freue mit Maria mich,
Und preise mit den Engeln dich,
Und singe Jubellieder!

Du, du bist aller Menschen Heil,
Dich lieben – ist der beste Teil,
Du Liebe ohne Gleichen!
Zwar spricht noch deine Lippe nicht,
Doch sagt dein liebes Angesicht
Dem Armen wie dem Reichen:

„O sei getrost in jeder Not,
Denn sieh‘, den liebsten Sohn hat Gott
Zum Heiland dir gegeben!
Auf ihn vertrau‘ und fasse Mut,
Was schlimm ist, macht er wieder gut:
Er liebt dich wie sein Leben.“

„Und kommt ein andres Kind in Not
Vor deiner TΓΌr‘ sag‘ nicht: Helf Gott!
Wollst seiner dich erbarmen!
FΓΌhlst du fΓΌr Gottes Liebe Dank,
Lass liebreich es bei Speis und Trank
An deinem Herd‘ erwarmen.“

Anton stand noch immer unter der geΓΆffneten TΓΌre, und hielt die TΓΌrklinke in der einen Hand, und Hut und Stecken in der andern. Seine Augen waren bestΓ€ndig auf die schΓΆne Vorstellung der Krippe gerichtet, und mit offenem Munde horchte er auf den Gesang und das Harfenspiel. Niemand bemerkte ihn. Jetzt fΓΌhlte aber die Mutter die KΓ€lte, die durch die offene TΓΌre in die Stube drang und blickte nach der TΓΌre. „Lieber Gott,“ rief sie, „wie kommt das Kind in der finstern Nacht durch den dichten Wald hierher? Armer, armer Knabe – du hast dich gewiss verirrt!“ Alle sahen jetzt nach der TΓΌre. Die zwei Kinder hatten ein herzliches Mitleid mit dem verirrten Knaben, blieben aber etwas scheu stehen, weil er ihnen fremd war. Die Mutter ging mit ihrem Kinde auf dem Arm zu ihm hin, und fragte ihn freundlich: „Wo bist du denn her, lieber Kleiner, wie heißt du und wer sind deine Eltern?“ „O du lieber Gott,“ sagte Anton mit TrΓ€nen in den blauen Augen, „ich habe gar keine Heimat mehr. Ich heiße Anton Kroner. Mein Vater ist in dem Kriege umgekommen und meine Mutter ist den letzten Herbst vor Jammer und Elend gestorben. Ich bin hier im Lande ganz fremd und irre in der Welt umher, wie ein verlorenes LΓ€mmlein.“ Er fing an zu erzΓ€hlen, wie er eben jetzt im Walde in so großer Not gewesen, wie er da aber ihren Gesang gehΓΆrt und so den Weg zu ihrem Hause gefunden habe. Er wollte weiter reden; allein die Stimme versagte ihm; es fror ihn noch allzu sehr. In der warmen Stube fΓΌhlte er die Wirkungen der KΓ€lte erst recht. Er zitterte vor Frost und klapperte mit den ZΓ€hnen.
„Ach, du armer Anton,“ sagte die Mutter, „du kannst ja vor Frost kaum mehr reden, und hungrig und mΓΌde musst du auch sein. Leg‘ dein BΓΌndelein ab, und sitz nieder; ich will dir eine warme Suppe geben, und was sonst noch von dem Nachtessen ΓΌbrig ist.“
Die zwei Kinder, Christian und Katharine, nahmen ihm nun voll Mitleid Hut und Stock und das BΓΌndelein ab. Katharine legte das BΓΌndelein auf die Bank, Christian legte den Hut oben darauf und lehnte den Stecken in eine Ecke. Hierauf fΓΌhrten sie ihren kleinen Gast an den Tisch. Die Mutter brachte Suppe und ein großes StΓΌck Festkuchen nebst gekochten Pflaumen. Sie setzte sich an die andere Seite des Tisches, und lΓ€chelte freundlich, dass Anton es sich so gut schmecken ließ. Die Kinder aber teilten ihm reichlich von ihren Weihnachtsgeschenken mit – schΓΆne rotwangige Γ„pfel, goldgelbe Birnen, und große braune NΓΌsse. Sogar das kleine Lieschen auf dem Schoße der Mutter schenkte ihm, auf Zureden der Mutter, das schΓΆne purpurrote Γ„pfelein, das sie in den kleinen HΓ€ndchen hielt, und mit den zarten Fingerlein kaum umspannen konnte.
Die warme Suppe bekam dem erstarrten Anton sehr gut, und die liebliche StubenwΓ€rme tat ihm nunmehr sehr wohl. Er ward wieder munter und frΓΆhlich. „Aber was ihr doch da in der Ecke eurer Stube schΓΆnes habt!“ fing er jetzt an. Er hatte schon unter dem Essen bestΓ€ndig nach der Krippe hinΓΌbergeblickt. „Das ist ja ein FrΓΌhling mitten im Winter!“ sagte er. „So etwas WunderschΓΆnes hab‘ ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Ich muss es doch nΓ€her betrachten.“ Er sprang hin und die zwei Kinder folgten ihm.
„Weißt du aber auch, was dass alles vorstellt?“ fragte Katharine. „Freilich weiß ich das, “ sagte Anton. „Es stellt die Geburt Jesu vor. Was das fΓΌr ein schΓΆnes, liebliches Kindlein ist! Sein Angesicht ist so schΓΆn weiß und rot, wie Lilien und Rosen. Und was es fΓΌr glΓ€nzende Γ„uglein hat, und wie freundlich es lΓ€chelt!“ – „Das ist aber nicht das rechte Jesuskindlein!“ sagte Katharine. „Jesus ist jetzt kein Kind mehr; er ist schon lange in den Himmel aufgefahren.“ „Das weiß ich wohl,“ sagte Anton. „Meinst du denn, ich sei ein Heide? Es ist schon bald zweitausend Jahre, dass Jesus als ein Kind in der Krippe lag. Das alles hier ist nur so gemacht, damit wir Kinder uns alles besser vorstellen kΓΆnnen. Das da oben ist, glaube ich, die Stadt Bethlehem. Nicht so?“ Katharine nickte. „Siehst du nun,“ sagte Anton, „das ich alles weiß! Ich bin nicht so dumm, als du meinst.“
Die Kinder lachten und machten nun Anton noch auf allerlei Kleinigkeiten aufmerksam, die ihnen aber hΓΆchst wichtig vorkamen. „Sieh nur, Anton,“ sagte Katharine, „das schΓΆne weiße Schaf hier mit krauser Wolle, und die zwei allerliebsten kleinen SchΓ€flein daneben! Sieh, hier herum graset die ΓΌbrige Herde, und dort steht der Hirt und blΓ€st auf der Schalmei. In dem niedlichen roten HΓΌttchen mit RΓ€dern schlΓ€ft er zu Nacht.“
„Siehst du auch,“ sprach Christian, „wie da aus dem Felsen ein kleines Quellchen, so fein wie ein SilberfΓ€dchen, hervorspringt, und sich in den hellen See ergießt? Sieh, zwei weiße SchwΓ€ne mit schΓΆn gebogenen HΓ€lsen schwimmen auf dem See und spiegeln sich in dem ruhigen, silberklaren Wasser.“ „Dort,“ sagte Katharina, „kommt ein HirtenmΓ€dchen den steilen Weg am Berg herab, und trΓ€gt ein zugedecktes KΓΆrblein auf dem Kopf. Darin werden wohl Γ„pfel oder Eier sein, die sie zur Krippe trΓ€gt.“ „Und sieh,“ sagte Christian, „dort schiebt Einer auf seinem Schiebkarren einen Sack die hohe Bergschlucht hinauf. Was aber in dem Sacke ist, weiß ich nicht zu sagen.“ So unterhielten sich die Kinder hΓΆchst angenehm, und kein kleines, streifiges Schnecklein, das an dem Felsen klebte, und kein buntes MΓΌschelein am Ufer des Sees blieb unbemerkt. „Nun wohl!“ sagte Anton, „das ist alles sehr schΓΆn. Allein das SchΓΆnste ist doch die Abbildung des himmlischen Kindes! Das freut mich am meisten. Denn um jenes Kindes willen, das hier abgebildet ist, hat mich der himmlische Vater aus meiner großen Not errettet.“

Christoph von SchmidΒ 

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BΓΌcher von und ΓΌber winston churchill auf.